Physiker statt zukünftige Berufsleute?

Nein – oder eher – selten. Wir bereiten unsere Lernenden vor allem gezielt auf ihren erfolgreichen Berufslehrabschluss vor. Nichtsdestotrotz schadet es nicht, zwischendurch auch einmal ein weniger bodenständiges Thema zu bearbeiten. Das machte die WVK im Deutschunterricht, als sie sich mit der Klassenlektüre «Die Physiker» von Friedrich Dürrenmatt auf ein Buch eingelassen hat, das der berühmte Schweizer Schriftsteller vor über 60 Jahren geschrieben hat.

Wer im Netz nach Bestsellern und Klassikern von Schweizer Schriftsteller:innen sucht, kommt schnell auf Friedrich Dürrenmatt. Er lebte von 1921 bis 1990 und prägte eine völlig neue Form des Dramas und stellte sich damit gegen die etablierte Literaturlandschaft. Dass Dürrenmatt zu den bekanntesten Autoren der Schweiz zählt, war einer der Gründe, den Lernenden dieses Buch näherzubringen. Wir hatten vor, die von Schule+Kultur organisierte Theater-Vorstellung in Winterthur im Theater Kanton Zürich zu besuchen. Dies war eine Motivation, auch dann das Buch weiterzulesen, wenn man einmal nicht alles auf Anhieb verstanden hatte. Mit einem vom Theater erhaltenen Merkblatt bereiteten wir uns zusätzlich auf die Vorstellung vor. Wir lernten, dass man während einer Vorführung weder aufstehen, reden oder am Handy sein und auch nicht wie im Kino essen und trinken darf. Das war für viele neu, vor allem für jene, die zum ersten Mal eine Theatervorstellung besuchten.

Silas hat folgenden Bericht über unseren Theater-Besuch verfasst:

Kürzlich besuchten wir mit der Klasse die Theateraufführung «Die Physiker» von Friedrich Dürrenmatt. Im Vorfeld hatten wir uns intensiv mit der Literatur beschäftigt, den gesamten Text gelesen und alle unbekannten Wörter, wie Philanthrop, Stukkaturen oder Kreutzersonate, besprochen, um das Theater gut vorbereitet zu besuchen.

Weil wir als Schulklasse mindestens eine halbe Stunde vor Beginn im Theater sein mussten, trafen wir uns bereits um 19.00 Uhr am Bahnhof Winterthur. Von dort fuhren wir mit dem Bus bis zum Theater. Während wir bis zur Türöffnung warten mussten, sammelte unsere Klassenlehrerin unsere Handys ein – «zu Ihrem eigenen Schutz» –, wie sie schmunzelnd meinte. Als sich schliesslich die Türen öffneten, wurden wir unseren Sitzreihen zugeteilt. Die Bühne war bereits von Anfang an interessant gestaltet, jedoch waren unsere Stühle weniger spektakulär, nämlich nur einfache, festgeschraubte Klappstühle.

Gleich zu Beginn lag die «Leiche» einer erdrosselten Krankenschwester auf der Bühne, was sofort einen gruseligen Anblick schuf. Die Bühnenbilder waren teils verwirrend, aber spannend gestaltet: eine Tapete mit aufgemalten, aber dennoch real existierenden Türen, rote und dunkle Farben und ein insgesamt geheimnisvoller Vibe. Besonders auffällig waren die Stühle auf der Bühne. Diese waren wie ineinandergesteckt. Ausserdem hatte es ein eingebautes «geheimes Fach», in dem eine Flasche Cognac und ein Glas versteckt waren.

Die Schauspieler:innen spielten teilweise mehr als eine Rolle. Dadurch wurden einige Figuren aus der Literatur meiner Meinung nach nicht ganz getroffen. Doch, wie ich gelernt hatte, gehört die Inszenierung zur künstlerischen Freiheit. Die Kostüme orientierten sich an der Zeit, in der das Stück spielt, und besonders Newton fiel mit seiner speziellen Perücke auf. Die Beleuchtung wurde geschickt eingesetzt und wechselte je nach Spannungslage zwischen rot, blau und natürlichem Licht, also weiss.

Musik und Atmosphäre während der Aufführung waren ebenfalls ein Gesprächsthema. Besonders das Geigenspiel von Einstein empfanden einige als etwas nervig und monoton. Trotzdem, die Musik wurde immer gut eingesetzt. Man spielte Musik oder Töne ab, wenn Spannung aufgebaut wurde, den Fokus auf eine gewisse Situation lenkte oder das Gegenteil, davon ablenken wollte.

Wir stellten an diesem Abend auch fest, dass wir tatsächlich schon älter sind, denn viele unserer Klasse fanden die ebenfalls anwesenden Sekschüler:innen teilweise ziemlich unreif. Unsere Meinungen zur Aufführung waren gemischt: Viele waren positiv überrascht und fanden das Stück besser als erwartet, andere empfanden manche Regeln, die im Vorfeld besprochen wurden, als übertrieben, vermutlich auch deshalb, weil alles neu für sie gewesen ist.

Der Abend hat allen gefallen. Das Theater war von den Schauspieler:innen sehr gut gespielt und die allermeisten von uns haben die Geschichte nachher auch oder besser verstanden. Insbesondere die Kussszene, die Enthüllung der Identitäten der Physiker sowie die Erscheinung von «König Salomo» am Ende bleiben wohl vielen im Gedächtnis, denn auch auf dem gemeinsamen Heimweg durch den späten Abend bewegte uns das Stück noch immer.